Middle East

VORAB


Zwischen 1999 und 2007 hatte ich eine Bleibe in Marrakesch / Marokko. Schon durch meine vielen Reisen in die orientalische Welt seit 1978 hatten meine Ohren ein gutes Verhältnis zu den dortigen Rhythmus- und Klangstrukturen. Also zu dem, was wir im Westen als „schräge“ Rhythmen und Skalen wahrnehmen, weil einfach unsere Bezugssysteme andere sind. Während wir die Oktave in zwölf Töne unterteilen, sind es in östlichen Systemen bis zu 32. Diese „fremden Elemente“ fanden, soweit das auf meinem Instrument machbar ist, auf ganz natürliche Weise Eingang in meine eigene Musik. So wie ein Maler das Licht des Ortes, an dem er sich befindet in seine Bilder aufnimmt, so macht ein Musiker (jedenfalls einer, der neugierig ist und mit offenem Ohr unterwegs ist) das mit Tönen.

 


In Marrakesch kamen dann afrikanische Elemente (Mali, Sudan, etc) hinzu, mit denen ich zuvor schon in Tansania in Berührung gekommen war.

 

 

All das fand seinen Widerhall in meinen ersten drei Solo-CDs SPARITO, ARABESQUE und PAS DE TROIS, allesamt geschrieben in meinem kleinen „Dar Erranna“, dem „Klanghaus“ mitten in der Medina von Marrakesch.

 

 

Ich habe mir damals gesagt: Musik schreiben kann man doch überall, warum dann nicht an einem schönen und inspirierenden Ort!

Mit Gnaouamusikern auf dem Rahba Kedima in Marrakesch, Foto: Beate Prinz

Djamaa El Fna, zum Teil aufgenommen mit Gnaoua-Musikern auf dem gleichnamigen Platz in Marrakesch


GOETHE war gut, Mann, der konnte reimen ... (Rudi Carrell)

 

Die Band (das waren Steffen Thormählen/Schlagzeug, Antoine Pütz/Bass, Christoph Titz/Trompete, Heribert Leuchter/Saxophone, (weder verwandt noch verschwägert) war schon 2003 für  das Goethe-Institut unterwegs gewesen. Indien, Rumänien, Griechenland, Littauen, um nur einige Stationen zu nennen. Dann, beim Festival Jazz aux Oudayas in Rabat, steht nach dem Konzert ein drahtiger, freundlicher Mensch vor mir, der sich als Manfred Ewel, Leiter des Goethe-Instituts Damaskus vorstellt und mich für einige Wochen später zu einer Feier zu sich nach Hause in Rabat einlädt. Er verbringt seinen Urlaub in Marokko, seinem eigentlichen Zuhause, meiner zweiten Heimat. Ich sage zu. Zurück in Marrakesch nehme ich am vereinbarten Tag den Zug. Freundlicher Empfang, viele Menschen (ich neige zum Fremdeln ...), aber ein vollendeter Gastgeber, der mir die Scheu nimmt, Gespräche anregt und Leute miteinander bekannt macht, regelt das alles wie nebenbei.

CHANCEN

Irgendwann an diesem Abend nimmt er mich beiseite und wir spazieren ein wenig durch seinen Garten. Dort dann die Frage „Sagen Sie, könnten Sie sich vorstellen, im nächsten Frühjahr eine Nahost-Tournee mit Goethe zu machen? Ich dachte da an Beirut, Damaskus, Amman, Khartoum, Alexandria, Kairo und Ramallah.“ Das ist alles in seinem Kopf schon fertig geplant, das merke ich. Ich stammele irgendwas wie „hm, da muß ich mal drüber nachdenken“, um eine halbe Sekunde später zu sagen „Okay, genug nachgedacht, ja klar!“ Wow!

 

Die Band ist schnell dabei, als Termin wird Februar 2005 vereinbart und wir steigen in die Details ein. Startpunkt soll Beirut sein. Manfred Ewel bietet mir an, eine Woche vor dem Tourstart nach Damaskus zu kommen, um mich dort mit Musikern bekannt zu machen, die ich dann bei unserem zweiten Konzert der Tournee in Damaskus auf die Bühne bitten könnte. Ich sage begeistert zu und fliege am 5. Februar 2005 mit Christoph Titz und Steffen Thormählen in die syrische Hauptstadt.

Manfred Leuchter +5  und Mrs. Goethe Institut …

 


NAHOST-TOUR 2005

 

Für das Goethe-Institut unterwegs zu sein hat sehr viele schöne Aspekte. Einer der schönsten war für mich immer, direkt von vornherein mit den Besten des jeweiligen Landes zusammenzutreffen, jedenfalls dann, wenn der Institutsleiter ein Musikliebhaber ist. Und so treffen wir direkt in den ersten Tagen eine große Zahl von jungen, interessierten und talentierten Musikern.

Ich habe, damit wir Sinnvolles zu tun hätten, für meinen Workshop einige Musik von mir mitgebracht, unter anderem „Arabesque“, ein nicht ganz so einfaches Stück, das ich in Marrakesch aufgeschrieben hatte, inspiriert von einer ornamentierten Kachelwand. Im Grunde besteht es aus einer Reihe von Ornamenten, die in- über- und durcheinander quirlen, scheinbar ohne Anfang, ohne Ende. Es dauert einen Moment, die Geheimnisse der Kacheln zu verstehen. Das war die Versuchsanordnung.

 

Wirklich erstaunlich ist, mit welcher Selbstverständlichkeit meine Workshopteilnehmer Dima Orsho, Essam Rafea, Feras Sharestan, Basil Rajoub (allesamt Musiker, mit denen ich bis heute immer wieder und überall spiele), das komplizierte Thema verarbeiten können. Sie sind jung, sie sind talentiert, verdammt gut ausgebildet, hungrig und über die Maßen freundlich. So sieht sie also aus, die musikalische Abteilung der "Achse des Bösen".


Aber vor allem essen, trinken, lachen, weinen und sonstnochwassen sie genau so gut und gerne wie wir auch. Und so entstehen zu dieser Zeit Freundschaften, die sich nach und nach vertiefen und bis heute halten. Nach einer Woche ist es am 12. Februar Zeit, nach Beirut zu reisen, wo am 14. das erste Konzert stattfinden soll.

 

Handgepäck ...                                                       


DIE BOMBE IN BEIRUT ODER 5 MINUTEN VERSPÄTUNG


Der andere Teil der Band, bestehend aus Antoine Pütz (Bass), Heribert Leuchter (Sax) und Jürgen Müller (Technik) landet am 14. Februar 2005 in Beirut und wir treffen uns im Hotel Mayflower, nachdem Steffen, Christoph und ich morgens schon mit Ziad Rahbani geprobt haben. Ziad ist ein beeindruckender Musiker, Komponist und Arrangeur, ein Star der arabischen Hemisphäre, der Lust hat, mit uns Nobodies im Shams Theatre Beirut zu musizieren. Er ist der Sohn von Fairouz, der in der ganzen orientalischen Welt verehrten Sängerin. (Man hört Fairouz am Morgen und Umm Khultum am Abend, sagt man im Morgenland, und viele Leute tun das tatsächlich).

 

 

 

 

  Mit Ziad Rahbani

 

Gegen Nachmittag machen sich Antoine, Steffen, Heribert und ich auf den Weg Richtung Hamra, der beliebten Flanier- und Einkaufsmeile. Der freundliche Fahrer des Goethe-Institus packt uns in seinen Bus und fährt uns hin. Ich hasse Unpünktlichkeit, weil sie die Zeit der Mitmenschen nicht  respektiert,  aber an diesem Tag bin ich selbst fünf Minuten zu spät, weil ich mich mit einer Goethe-Dame verquasselt und nicht auf die Zeit geachtet habe. So fahren wir auf der Corniche, der Küstenstraße, Richtung Hamra, als es plötzlich vor uns einen dumpfen Knall gibt, und der Bus wackelt, als wäre uns jemand draufgefahren. Der Fahrer hält an, ich steige kurz aus und sehe auch schon in vielleicht 500 Metern Entfernung einen Rauchpilz. Ungefähr an der Stelle, zu der wir unterwegs sind. Ich habe meinen kleinen Fotoapparat dabei und halte drauf.

Niemand außer dem Fahrer kapiert, was da los ist, der dafür aber umso besser. Er treibt uns zurück in den Bus, dreht, und fährt entgegen der Fahrtrichtung mit allem was der Bus hergibt zurück zum Institut. Dort angekommen stürzt eine der Mitarbeiterinnen aus ihrem Büro, fällt mir um den Hals (das tun arabische Frauen normalerweise nicht ohne Weiteres) und sagt „Ich bin so glücklich, daß Sie noch leben!“ „Ich auch,“ antworte ich, „kann ich Ihnen helfen?“ Ich habe immer noch nicht verstanden, was geschehen ist. Sie haben alle Fenster aufgerissen. Das sind Bürgerkriegserfahrungen: Wenn eine Bombe einschlägt, kommen bald andere, die die Fensterscheiben zerstören. Der letzte Bürgerkrieg ist kaum 15 Jahre zu  Ende, und den Menschen noch in grauenhafter Erinnerung.


Im Medienraum nebenan läuft CNN. Kaum fünfundzwanzig Minuten nach der Bombe sind die live auf Sendung, und wir sehen einen Krater, in dem anscheinend Ameisen herumklettern. Beim Heranzoomen sieht man, daß die Ameisen Menschen sind. Schnell wird klar, das Attentat galt dem ehemaligen Ministerpräsidenten Rafiq al Hariri, und die Attentäter haben es ernst gemeint. 1000 Kilogramm TNT. Viele Menschen sterben, noch mehr sind verletzt, wir haben Glück. Fünf Minuten Verspätung …

 

Bombe in Beirut am 05. Februar 2005                    

 


 

DAMASKUS


Goethe organisiert uns die Rückreise nach Damaskus auf dem Landweg, weil die Situation nicht klar ist. Man weiß nicht, ob das der Anfang einer Serie ist, wie es auf dem Flughafen aussieht, was als nächstes passieren wird. Und so besteigen wir am nächsten Morgen in der Frühe mit all unseren Instrumenten den Goethe-Bus und machen uns auf in die Berge des Zedernstaates, gen Osten. Diese Landschaft ist sanft wie die Toscana. Leider sind’s die Zustände nicht ...

Es kommt zu einem kleinen Intermezzo an der syrischen Grenze. Es gibt keine Papiere für unsere Instrumente, da wir ursprünglich mit dem Flugzeug reisen sollten, und ich finde mich im Büro des Zollchefs wieder. Ein freundlicher kleiner Mann, der mir erklärt, daß man hier ohne gültige Papiere für unsere sicher wertvollen „Mitbringsel“ nicht nach Syrien einreisen könne. Ich versuche zu erklären, deutsches Kulturinstitut, Musiker, Tournee und so, ich bitte und bettle, jammere und flehe, aber all das bringt uns nicht weiter. Und während die Jungs beim Bus warten, bringt ein beflissener Angestellter einen köstlichen Kaffee mit Kardamon in einem güldenen Tässchen, und dann einen weiteren. Irgendwann komme ich auf den richtigen Gedanken: „Haben Sie Dank für Ihre Gastfreundschaft, aber ich will sie nicht über Gebühr strapazieren. Gibt es eine Kaffeekasse?“.  Das wird wohlwollend bejaht, und nach Einwurf von 20 US-Dollar geht es plötzlich wie geschmiert. Wir passieren die Grenze ins damals sichere Syrien.


Manfred Ewel, der weise und erfahrene Chef des Instituts nimmt uns in Empfang und führt uns in eines der ältesten Hammams von Damaskus, das "Nur Addin". Dort, beim Schwitzen im Dampfbad wird uns eigentlich zum ersten Mal bewußt, was in den letzten Tagen geschehen ist. Welch ein Auftakt …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 Mit Jürgen Müller und Antoine Pütz


Zwei Tage nach der Bombe in Beirut ist unser Konzert im Opernhaus. Es ist mit 1300 Besuchern voll besetzt und wir spielen unser erstes Set, das ca. eine Stunde dauert. Die Herzen fliegen uns zu. Heute weiß ich, daß alle, mit denen ich später so freundschaftlich zusammenarbeiten sollte, an diesem Abend anwesend waren. Alle bis auf einen, aber auf den komme ich später zurück. * siehe Kapitel Monterosa


Nach der Pause bitte ich meine syrischen Gäste auf die Bühne. Die Sopranistin Dima Orsho, den Oudspieler Essam Rafea, Jamal al Saq an der „Riq“ (ein Instrument, das dem Tambourin ähnelt), Feras Sharestan an der arabischen Kastenzither, Qanoun genannt. Wir spielen zusammen einige meiner Stücke. Es ist eine helle Freude, sie einmal so zu hören. Ungewohnte Klänge, ungewohnte Improvisationsstile. Großer Jubel. Der aber will kein Ende nehmen, als wir ein syrisches Traditional anstimmen. „Ya mahla al fusha“, ein sehr schönes Liebeslied; sentimental, fast ein wenig kitschig, hinreißend gesungen von Dima. Bis heute gibt es kein gemeinsames Konzert, in dem „Ya mahla“ nicht auf dem Programm steht.

V.l.n.r.: Christoph Titz, Feras Sharestan, Essam Rafea, Antoine Pütz, Manfred Leuchter,

Jamal al Saqa, Muslim Rahal, Steffen Thormählen, Heribert Leuchter



Alle Hoffnung liegt zu der Zeit auf Bashar al Assad, der den Eindruck macht, Syrien nach der bleiernen Zeit seines Vorgängers behutsam öffnen zu wollen. Und so gibt es eine wachsende Szene von Musikern, Malern, Schriftstellern und Fotografen, alles noch recht schüchtern, aber man merkt den Keim der Hoffnung. Und der Diktator läßt es zu. Seine Frau Asma, ist die Schirmherrin unter Anderem von „Jazz lives in Syria“, einer Initiative des wunderbar umtriebigen Hannibal Saad. Ich habe auf diesem Festival, das in der Zitadelle stattfand, in den Jahren bis 2010 oft mit allen möglichen Besetzungen gespielt und der unseligen Asma sogar einmal nach einem Konzert in der Zitadelle die Hand gegeben. Man konnte es nicht ahnen.


"KÜNSTLER"

Anekdote: Im April 2013 folge ich der Einladung der Shams-Association, ein Konzert in Beirut zu spielen. Die Reise in den Libanon ist diesmal gänzlich problemlos, ein Direktflug von Fankfurt bringt mich hin. Dann die übliche Pass- und Zollkontrolle, bei der natürlich mein Instrument auffällt. Was ich damit vorhabe, fragt der Beamte. „Ein Konzert im Shams Theatre spielen“ antworte ich wahrheitsgemäß. „Daraus wird nichts, du brauchst ein Künstlervisum!“

 

Das höre ich zum ersten Mal, aber was soll ich machen? Sie lassen mich passieren, und in meinem Reisepass gibt es also nun einen Vermerk, daß ich im Libanon zwar herzlich willkommen bin, aber eines auf keinen Fall darf, nämlich künstlerisch tätig sein.

Ich komme am späten Nachmittag im Hotel Mayflower an, und es gibt eine herzliche Begrüßung, man kennt sich. Am Abend treffe ich Ariane Langlois, die Organisatorin des Konzertes. Ich erzähle ihr von dem Vorfall. Schnell wird klar: Ich brauche dieses spezielle Visum, sonst ist das Konzert in Gefahr. Es wird also vereinbart, am nächsten Morgen zu der entsprechenden Verwaltungsdienststelle zu fahren, um es zu besorgen. Da ich das aber ganz bestimmt nicht alleine hinbekomme, bittet Ariane den erfahrenen Theaterdirektor, Regisseur und Schauspieler Roger Assaf, mich zu begleiten.

Das Taxi kommt zur vereinbarten Zeit. Der Fahrer bringt uns in einen Randbezirk der Stadt und überläßt uns vorzeitig unserem Schicksal, weil das Gebäude nicht anzufahren sei. Roger ist ein älterer Herr (also noch älter als ich), sehr, sehr freundlich, aber nicht mehr ganz so gut auf den Beinen. So sind die letzten 300 Meter ein kleiner Hürdenlauf für ihn, weil die Bordsteine ziemlich hoch und die Autofahrer ziemlich rücksichtslos sind. Man hätte doch näher heranfahren können, aber der Fahrer hatte wohl keine Lust dazu!

Gut, Roger fragt sich durch, und wir finden das Haus, das nach allem Möglichen aussieht, aber nicht nach einer Behörde. Wir werden nach der Anmeldung in den Warteraum geschickt. Der ist außerhalb des Hauses und halb überdacht, eigentlich mehr ein Wartehof. Zu meiner Überraschung ist dieser Hof sehr belebt, und zwar ausschließlich mit nicht direkt häßlichen jungen Frauen, die uns genauso fragend anschauen wie wir sie. Wir sind die einzigen Männer, sie kichern.

 

 

Wie ich jetzt weiß, kommen die Damen aus Osteuropa und arbeiten als Prostituierte. Weil das im Libanon natürlich sehr verboten ist, braucht das Kind einen anderen Namen, und sie sind kurzerhand „Künstlerinnen“, die eben auch ein Künstlervisum brauchen. Mag sein, daß sie wirklich Künstlerinnen auf ihrem Gebiet sind, ich kann das nicht beurteilen. Was ich aber in ihren Gesichtern lesen kann, sind die großen Fragezeichen, welcher Art „Kunst“ Roger und ich wohl nachgehen ...


 Roger Asaaf                                                                                                                                                       Feierabend in Beirut, mit Ariane Langlois