PALÄSTINA  I

Hinweisschild an meinem Lieblingsrestaurant


DIE KLARINETTE

 

Irgendwie scheine ich’s ja mit der Klarinette zu haben. Oder sie mit mir? Kinan Azmeh, Anna Vohn, Mohamed Najem - daraus könnte man ein Muster ableiten ... Ich weiß es nicht, jedenfalls erreicht mich im Frühjahr 2007 in Südfrankreich eine Mail der Klarinettistin Anna Mareike Vohn, ehemalige Schülerin von Sabine Meyer, der ersten Frau, die Karajan bei den Berliner Philharmonikern installierte. Sie fragt mich, ob ich Lust auf eine Tournee in Palästina habe. Ich zögere nur unmerklich, dann kommen meine drei berühmten Buchstaben. YES. Also habe ich im Juli ein Date in Ramallah mit den Youngstern Anna Mareike, Ahmed Eid und Tareq Rantissi. Da ich ohnehin  im Juni in Damaskus sein soll, kann ich die beiden Orte gut verbinden.

 

Dachte ich …

Reisegepäck, ob nun für 3 Tage oder für 3 Monate

 Tareq Rantissi, Anna Mareike Vohn, Ahmed Eid


Das Problem ist: Wenn man sich bei der Einreise nach Syrien mit einer Einladung nach Palästina, die man bei der Einreise dort gut gebrauchen kann, erwischen läßt, ist die Reise zu Ende. Also ist der Plan, von Damaskus aus kurz nach Deutschland zurückzufliegen, dort Wäsche und Papiere auszuwechseln, um dann über Tel Aviv nach Ramallah zu gelangen. Nun ist der Araber an sich ein wenig chaotisch veranlagt. Das Konzert in Ramallah wird kurzerhand vorverlegt, und ich habe keine Chance, als ohne Einladung (die ist ja in Deutschland) über den Landweg ins mehr oder weniger gelobte Land zu kommen. Nun gut, das habe ich schon einmal gemacht, und es wird wohl auch diesmal gehen.

Und so nehme ich mir in Damaskus ein Taxi, das mich nach Amman bringt. Soweit ist das kein Problem, ich kenne diese Länder und kenne den Streß an den Grenzen. Vorsorglich habe ich mir alle Nationalhymnen der Gegend draufgeschafft, kann also, wenn es an der Grenze Ungemach mit meinem Instrument geben sollte, ganz gut vorführen, was das „Käschtle“, wie der Schwabe es liebevoll nennt, so macht. Und so komme ich gegen 11 Uhr an der Allenby Bridge an. Das ist neben der King Hussein Bridge der einzige Punkt, an dem Palästinenser von außen in ihr Land kommen können.

Taksi

 

Man bucht ein Ticket, das einen für 80 Dollar über den einen Kilometer Niemandsland bringt, der sich zwischen Jordanien und Palästina befindet. Von dort sind es noch 100 Meter bis zur Grenze, die von Israel kontrolliert wird. Gesichert wird diese Grenze von jungen Soldaten. Ich gehe also mit dem Käschtle auf dem Rücken und mit meinem Köfferchen auf sie zu, als mir plötzlich klar wird:
Es gibt kaum jemanden, der mehr nach einem Bombenleger aussieht, als ich! Ich bin sehr vorsichtig, die Soldatenkinder sind sehr nervös. „Musica, Music“, rufe ich aus einiger Entfernung. „Ok, go ahead.“ Ich stelle das Akkordeon ab und öffne den Rucksack, damit sie es begutachten können. Sie fragen mich, was ich damit vorhabe. Ich antworte sowas wie: „Ja, das ist eine schlimme Waffe, je nachdem, wer darauf spielt, aber eigentlich ist es Musik, a weapon of mass harmony.“ Humor ist nicht das, was einem als erstes an einer dieser Grenzen einfällt. Aber sie lassen mich durch, nachdem das Instrument den Scanner passiert hat. Dann ein großer Raum. Grelles Neonlicht, laut, viele Palästinenser, die in ihr Land wollen. Und ein kleiner Akkordeonspieler mittendrin.

Nach einer Weile kommen ein Soldat und eine Soldatin auf mich zu und verlangen meinen Pass. Wo ich hinwolle. Nach Ramallah. Warum? Um ein Konzert zu spielen. Für wen? Fürs deutsche Kulturinstitut, lüge ich. Einladung? Keine. Wann ich geboren bin. Und wo. Wie mein Familienstand sei. Sie spielen das good-cop-bad-cop-Spiel. Das Mädchen ist vielleicht 25 und vermutlich russischer oder bulgarischer Herkunft. Sie spielt die Böse. Und er, ebenso alt und Israeli, beruhigt mich immer wieder zwischendurch. "Wird schon, wird schon ...". „Wait!“ Sie lassen mich stehen. Name? Mr. Manfred. Nationalität? Deutsch. Familienstand? Ledig. Und so weiter.

 

Nach einer halben Stunde dasselbe Spiel, dieselben Fragen. Ich habe Zeit und sehe mir die Situation an. Vergrämen nennt man das, was dort geschieht wohl unter Schädlingsbekämpfern. Im Gegensatz zu den vielen Palästinensern, die in ihr Land müssen, habe ich aber immer die Option, zurück nach Amman zu gehen. Als sie zum dritten Mal erscheinen und ich zum dritten Mal gefragt werde, ob ich verheiratet sei, gehe ich ein Stückchen auf die Soldatin zu, lächle und sage „well, not yet …“. Wie gesagt, der Humor an diesen Grenzen ist begrenzt. Sie lassen mich stehen.

Ich verfalle in eine Art Lethargie, werde traurig und missmutig. Und dann tu ich das, was mir in solchen Zuständen immer gut hilft: Ich packe mein Instrument aus und spiele ein bisschen Bach, die Augen geschlossen. Das tut gut. Als ich nach kurzer Zeit wieder das Licht der Welt erblicke, ist Wundersames geschehen. Der Lärmpegel ist gesunken und ich habe ein kleines Publikum. Sie lauschen und verstehen die Welt nicht mehr.

Meine beiden Cops erscheinen, und es erscheint ihnen nichts dringender, als mich da fortzuschaffen. Ich bin wohl wehrkraftzersetzend. Ich beende das Stück, packe ein, und werde ohne weitere Umstände zur Einreise begleitet. Dort bitte ich darum, meinen Pass nicht zu stempeln, sondern einen gesonderten Zettel auszustellen, damit der Pass nicht für die arabischen Staaten „vergiftet“ ist. „Sorry, too late“, sagt der Grenzer und vergiftet anschließend meinen Pass mit seinem Stempel. Das bedeutet für mich: Ausreise über Tel Aviv und Lauferei in Deutschland.


Nach endlosen Stunden erreiche ich Ramallah, den Hügel Gottes, und mein vertrautes Royal Court Hotel. Das klingt königlicher, als es ist, ist aber furchtbar nett, und die Menschen dort sind sehr lieb zu mir. Sie erkennen mich wieder und sie geben mir das Gefühl, nie fort gewesen zu sein. So sind sie, meine lieben Araber.

Ich habe eine kleine Suite mit Küche und Schlafzimmer, Minibar, und einen herrlichen Biergarten nebendran. Kurz: alles, was der Musikant braucht.

 

Eine Dusche, ein köstlicher Tee, und etwas Ruhe lassen mich die Grenzerfahrungen vergessen. Dann geht es mit frischer Energie hinauf zum ZAN, einem Club, in dem sich die Verrückten treffen. Schriftsteller, Maler, Musiker. Da bin ich richtig. Ein paar der örtlichen Taybeh-Biere helfen beim Herunterkommen.

Royal Court Hotel Ramallah


TOUR DURCH PALÄSTINA

 

Die Nacht ist kurz, aber erholsam. Am nächsten Morgen treffen wir uns zum Proben in der Al Kamandjati Music School. Meine jungen Kollegen, die Gruppe nennt sich "Matabb" (auf niederländisch heißt das "Drempels", auf deutsch wahrscheinlich so etwas Einfaches wie "Fahrtgeschwindigkeitsbegrenzungshindernisbauwerk"), haben Stücke im Gepäck. In Erinnerung geblieben sind mir Werke des Norwegers Øystein Bru Frantzen, der ein sehr guter Komponist und Arrangeur ist und viel Zeit in Palästina verbracht hat. Ich habe auch ein paar meiner Stücke dabei, und wir stellen in wenigen Tagen ein Konzertprogramm zusammen.

 

Die "Kids" machen mir Spaß. Allesamt richtig gute Musiker, ein bisschen ungestüm vielleicht, besonders die Jungs, aber voller Tatendrang.

In der Al Kamandjati Schule mit Ahmed Eid und Tareq Rantissi, Falafel zu Mittag

 

Und so ziehen wir los. Die Stationen unserer kleinen Tour sind lauter Orte, die man häufig in den Tagesthemen sieht: Nablus, Qalqilia, Bethlehem, Jenin, Ramallah und zum Abschluß die grandiosen "King's Tombs" in Ost-Jerusalem.

 

In diesem Land zu reisen, ist ein wenig anstrengend. Zusätzlich zu den fest installierten Checkpoints wie "Qalandia" werden gerne noch "Flying Checkpoints" aufgebaut. Man weiß nie wann und wo, aber das ist ja der Trick dabei. Und an diesen Stellen bilden sich dann endlose Autoschlangen. Wenn man so von außen draufschaut, könnte man leicht auf den Gedanken kommen, daß das alles Schikane ist.

Der Goethe-Bus hat eine magnetische Flagge auf der Kühlerhaube. Manchmal ist die unbedingt nötig, aber manchmal darf sie auch unter keinen Umständen zu sehen sein. Ich habe das nie genau verstanden. Rätselhafter Orient ...

Goethe-Bus

 

Checkpoint Qalandia

Aber am Ende ist es wie immer: Die Musik und die Begegnung mit einem überaus dankbaren Publikum lassen einen den Streß schnell vergessen, und man weiß wieder, warum man hergekommen ist.


KLEINER EXKURS

Ich habe nach dem Konzert im Cultural Palace einen Tag Freizeit. Ich schlendere herum, schaue mir dies und das an, gehe in meinen Lieblingssaftladen, in dem man sich die wohlschmeckendsten Saftmischungen machen lassen kann (Orange - Ingwer, hmmm!) und kaufe einige der schönen handbemalten Tässchen, aus denen ich heute noch daheim meinen Espresso trinke.

 

Irgendwann am frühen Nachmittag werde ich hungrig und gehe in eine der Garküchen, die man überall findet. Meine Bestellung, ein Falafel-Brot wird zügig verarbeitet, ich zücke mein Portemonnaie und möchte bezahlen. Als ich dem Koch nun den Schekelschein hinhalte, kommt er hinter der Theke hervor, baut sich bedrohlich nah vor mir auf und sagt ruhig: "It's bad enough that you are here! But if you try to pay now, I'll have to kill you. You know us guys over here, you know?!". Ich bin zwei Sekunden lang echt erschocken. Dann ein lautes und herzliches "joke joke joke! The concert last night was incredible! Thank you for that!"

 

Diese Jungs haben Humor!

 

 


Ich verlasse nach acht Wochen Syrien und Palästina die Region über Tel Aviv, mein "verbrannter" Pass läßt es nicht anders zu. Daheim dann die Lauferei zu den Ämtern, die aber nichts an meinem Gefühl ändert: Ich werde wiederkommen.

Abschied