DAMASKUS

 

DIE OPER

 

In den Jahren 2005 und 2006 reise ich einige Male nach Damaskus, lerne Land und Leute kennen und mag immer mehr, was sich mir dort bietet. Im Frühjahr 2006 erhalte ich eine Anfrage des National Syrian Orchestra, ob ich bereit sei, bei einem Galakonzert im Mai zwei Stücke mit dem Orchester zu spielen. Was für eine Frage! Natürlich bin ich bereit und verabrede mit dem Chefdirigenten, den ich schon bei einer früheren Gelegenheit getroffen hatte, eines meiner Stücke für diesen Zweck zu orchestrieren. Er darf aussuchen, und er wählt „Das Lächeln des Clowns“, das ich 2001 geschrieben hatte. Es ist ein rauschender Abend im ausverkauften Opernhaus.

 


Damaskus Oper, Probe mit dem National Symphony Orchestra unter der Leitung von Missak Baghpodarian, TV- Interview

MA FI MINNAK

 

Anekdote: Das Konzert ist vorbei, ich bin durchgeschwitzt und will gerade das Hemd wechseln, als es an der Tür klopft. Ich ziehe schnell das nasse Hemd wieder an (man weiß ja nie, wer da steht) und öffne die Tür. Da steht sie dann, diese Schönheit, eine Musikerin des Orchesters, und sie überreicht mir sieben selbstgemalte Aquarelle, die ich bis heute wie einen Schatz hüte. Sie haucht „Ma fi minnak“. Ich habe keine Idee, was sie meint, aber ich spüre, daß es sehr freundlich gemeint ist und sage artig „shokran“. Später erklärt mir Manfred Ewel was das heißt. Eins zu eins übersetzt: „Gibt nicht wie Du“, oder in unserer Sprache: „Du bist einzig“. Welch ein Kompliment! Ich habe kurz darauf ein Stück dieses Titels geschrieben.


 


EIN DAMASZENER TISCH

Ein Tisch im Restaurant wird erst dann als voll betrachtet, wenn nun wirklich jeder Quadratzentimeter mit Schälchen und Schüsselchen bedeckt ist, auf denen sich Köstlichkeiten wie Hommos, Fattoush, Labneh, Makdus, Kebbeh oder Muttabal befinden. Ich mache den typischen Anfängerfehler: Mir schmeckt’s dermaßen gut, daß ich zuviel von allem esse. Das eigentliche Essen kommt nämlich erst danach, und ich kann jetzt schon nicht mehr. Fattoush ist mein Lieblingssalat. Mit knackig geröstetem dünnen Fladenbrot gibt es Gurke, Tomate, Minze und Anderes, und ich esse das so regelmäßig, daß mir ein Freund den arabischen Kampfnamen „Abou Fattoush“ verpaßt hat. So ein Mahl kann einige Stunden dauern, zwischendurch nuckeln einige an der „Hubble Bubble“, der Shisha und die Luft wird süß und schwer.

Mit Dima Orsho und Kinan Azmeh

 

 

 

Stilleben mit Melone und Minze von Lena Chamamyan

 


MONTEROSA - NINE DAYS OF SOLITUDE, ODER EINFACH    "Y E S"

 
* Bei all meinen syrischen Aktivitäten in 2005 und 2006 heißt es gleichlautend von allen Musikern, „ja, wir sind als Musiker ganz okay, aber du solltest mal Kinan Azmeh hören". Dieser Name geistert da, gleichsam über allem schwebend, durch die Musikwelt. Ich besorge mir die erste CD dieses Meisterklarinettisten und höre einen aufregenden Stil. Das Orientalische ist deutlich, aber auch die Suche nach Neuem. Die Gruppe nennt sich „Hewar“, das bedeutet Dialog, und das hört man auch. Auf dieser CD sind auch Dima Orsho und Essam Rafea zu hören, die ich ja bereits kenne. Es gefällt mir, aber diese Kraft von Kinan ängstigt mich irgendwie.

Eines Tages, ich bin wieder daheim in der Kaiserstadt, erreicht mich eine Mail von Kinan. Der große Geist persönlich schreibt mir und macht den Vorschlag, gemeinsam eine zweite CD mit Hewar aufzunehmen. Er sucht den Dialog. Als Ort des Geschehens schlägt er Monterosa vor, circa 50 Kilometer nördlich von Damaskus in den Hügeln gelegen. Dort soll in einem Resort fünf Tage lang komponiert und geprobt werden, dann soll am letzten Abend, als Dankeschön für die Menschen, die das ermöglicht haben, ein Konzert in Monterosa stattfinden, am nächsten Tag dann ein Auftritt in der Zitadelle von Damaskus. Anschließend zwei Tage ins Studio. Und ich möge doch bitte einen Schlagzeuger und einen Bassisten vorschlagen. Mach’ ich gerne: Steffen Thormählen und Antoine Pütz.

Um nicht gierig zu erscheinen, antworte ich nicht sofort. Aber am nächsten Tag schreibe ich auf die lange freundliche Mail exakt drei Buchstaben als Antwort:

Y E S

Keine Frage nach der Reise, den Bedingungen, der Gage. Meiner Erfahrung nach kommt so etwas immer ganz von selbst. Steffen und Antoine sind schnell überredet, wir suchen und finden unser Zeitfenster, und die Sache geht in die Planung. Mails gehen hin und her, wir diskutieren, schicken Noten und Mp3s, wir bereiten uns vor.

Dann ist es soweit, man hat uns völlig bescheuerte Flüge gebucht. Am Nachmittag von Frankfurt nach Istanbul, dort ein längerer Stop-over, dann weiter nach Damaskus, wo wir um morgens um 4:30 Uhr landen. Nichts für ältere Herren … Was soll’s, wir schlafen ein paar Stunden im Sham-Palace und werden dort mittags abgeholt und reisen in einem Kleinbus gen Norden.

Meine sternenkundige Schwester hatte mir für 2006 eine „karmische Begegnung“ vorausgesagt. Ich hatte zwar eigentlich fest mit einer Dame gerechnet, aber nach zehn Minuten mit Kinan ist mir klar, was gemeint war. Wir verstehen uns, er sagt mir gleich beim ersten Gespräch, daß meine „Arabesque“ ihm die Augen geöffnet habe, wie man jenseits der Lehrmeinung auch auf noch anderen, eigenen musikalischen Pfaden wandeln kann. Und daß er, "sorry sir", mein Intro leicht abgewandelt für ein neues Stück geborgt hat. Ich bin da großzügig ...

Nachmittags fangen wir an zu proben, es läuft richtig schön, wahr und gut. Kinan, Dima, Antoine und ich, wir haben jeweils Stücke mitgebracht, die wir eines nach dem anderen angehen. Der großartig feinfühlige Filigranschlagzeuger Steffen gibt den Stücken ihre Basis.

Die musikalischen Strukturen sind nicht immer einfach, das rhythmische Konzept der „eins“ beispielsweise gibt es so nicht, ein 7/8 sind nicht sieben Achtel sondern zum Beispiel 1-2, 1-2, 1-2-3.
Kinans Stück „The Wedding“ (das mit dem geborgten Intro) ist im weiteren Verlauf ein 15/8, also eigentlich ein 4/4-Takt, dem ganz am Ende eine Achtel abhandengekommen ist. Ich bin inspiriert und lerne.

 


Kurzer Exkurs: Es ist immer Arbeit, ungewohnte Abläufe „in die Finger“ zu bekommen. Besonders wenn es schnell geht, müssen die Finger den Weg kennen, das Denken kommt da nicht mit. Also heißt es: üben! Ganz langsam zunächst, einzelne Takte, dann kleinere Sinnzusammenhänge.

 

Und nach und nach immer mehr, und erst dann das Tempo steigern, wenn man langsam schon durchkommt. Gerade jetzt, wo ich dies hier aufschreibe, stecke ich wieder in einer dieser Geduldsproben. „A trip to Ghouta“, ein Stück von Dima Orsho, das wir im Pierre-Boulez-Saal in Berlin spielen werden.

 

                                                                                                                                    In Monterosa mit

        Kinan Azmeh, Manfred Leuchter, Antoine Pütz, Essam Rafea, Dima Orsho, Steffen Thormählen

Und noch etwas habe ich gelernt: Wird man als Band fotografiert, sollte man keinen bescheuerten Hut aufhaben, das Bild könnte das CD-Cover werden ...

 


Wir komponieren, wir proben, wir lernen einander zu verstehen. Um der manchmal elegischen Schwere der anderen Stücke etwas entgegenzusetzen, schreibe ich eines Nachts ein beschwingtes kleines Stück in 7/8, das meine Stimmung während der Monterosa-Zeit ganz gut wiedergibt. Der Titel ist keine Überraschung: "Monterosa".

Und binnen fünf Tagen haben wir ein Programm, das man getrost präsentieren kann. Und das tun wir dann auch, zunächst als Test in einem kleinen Saal im Resort. Am nächsten Tag geht es nach Damaskus, wo wir am Abend in der grandiosen Zitadelle spielen. Eine laue
Sommernacht, ein schönes Konzert und ein  begeistertes Publikum sagen uns: Ein Projekt ist geboren.

 

 


Ich reise immer wieder nach Syrien, lerne Land und Leute kennen, und spiele viel. Irgendwann bin ich offenbar eine kleine Berühmtheit, und man bittet mich, schöne, aber für mich erstmal seltsame Dinge zu tun, wie zum Beispiel einen Workshop in der Al Wataniah Schule zu geben. Dort warten an diesem Tag insgesamt 3000 Zwerge auf mich. Und jede Menge Spaß.


Wie viele von den Kleinen wohl den Krieg überlebt haben ?

 

 


 

 

DER CD -VERKÄUFER

 

 

Auf dem Weg durch die engen Gassen von der Umayyaden-Moschee zum Bab Touma gibt es unzählige kleine Läden, in denen man alles, aber wirklich alles kaufen kann. Ich schlendere eines Tages bei brütender Hitze da entlang, als plötzlich ein junger Kerl freudestrahlend aus seinem Laden springt. „Du hier? Was für eine Freude! Komm rein, trink einen Tee mit mir.“ Es ist ein Laden, in dem CDs verkauft werden.

Der Tee kommt, wir reden ein wenig und ich schaue mich um. Und da sehe ich an der Stirnseite, auf allerbester Sichthöhe, meine komplette CD-Kollektion, alles schön kopiert.


Zwei Dollar fuffzig kostet eine CD. Ich muß kichern. Dafür kann ich sie nicht herstellen, aber so läuft das eben hier. Es trägt aber ganz sicher zur Verbreitung bei und hilft, die Konzerte zu füllen. Der Verkäufer lacht. Da sei doch eine neue CD von mir draußen, habe er gehört. „Ja“, sage ich, „sie heißt ZINA.“ Ob ich ihm die mal zur Verfügung stellen könnte, ich wisse schon … „Klar“, antworte ich, „ich bringe sie morgen vorbei.“


Wir verabschieden uns, aber halt, eine Bitte hat er noch: Ob ich nicht vielleicht  in Zukunft die Cover der CDs nicht vielleicht etwas heller gestalten könne? Soviel Toner, bei dunklen Farben.

 

Diesen Gefallen kann ich ihm leider nicht tun.


ABSCHIED AUS SHAM

(der alte Name von Damaskus)

 

Meine letzte Reise nach Syrien findet im August 2010 statt. Wir spielten Open-Air-Konzerte in Tartus, der wunderschönen Hafenstadt im Süden, und vor dem Azim-Palast in Damaskus.  Damals hält niemand für möglich, daß der Funke des  „Arabischen Frühlings“ in diesen Teil des Nahen Ostens überspringen könnte. Jetzt, 500 000 Tote später, wissen wir es besser. Eine Tragödie.

 


Nachwirkungen

 

Die Kontakte aus dieser Zeit halten bis heute, wir spielen immer wieder zusammen. So lädt mich Basel Rajoub, einer meiner Workshopteilnehmer des ersten Aufenthalts in Damaskus, ein, mit ihm beim Jazzfestival in Chamonix zu spielen, vor der grandiosen Kulisse des Montblanc in 2500 Metern Höhe. Wir waren auch in Oslo zu Gast. Seine CD "Asia", für mich eine der beeindruckendsten Aufnahmen aus der Region der letzten zehn Jahre, habe ich gemischt und gemastert. Ich freue mich immer riesig, wenn die „Jungen“ (naja, so jung sind sie inzwischen auch nicht mehr) ihre eigenen Karrieren machen. Mit Kinan Azmeh und Dima Orsho ging es nach Beirut, Amman, Marseille, San Francisco, um nur einige Orte zu nennen.


Höhepunkte waren sicher die Auftritte mit „Hewar“ in der Elbphilharmonie Hamburg und mit Dima im Pierre-Boulez-Saal in Berlin. Und alle diese Herrschaften waren auch schon zu Konzerten bei mir. Vorzugsweise auf Burg Wilhelmstein, aber genau so gern auch in anderen Spielstätten.


Kommentare von Basel Rajoub, Dima Orsho und Kinan Azmeh

 





ARABESQUE

Mein Beitrag zur "Global Week For Syria"

Video: Gina Faber

Die letzte Station unserer Nahost-Reise 2005 heißt Ramallah. Wie alle anderen von Goethe organisierten Konzerte dieser Tour ist auch das in Ramallah sehr gut geplant und ein voller Erfolg. Der Cultural Palace wird als Konzertsaal allen westlichen Maßstäben gerecht. Schöne Akustik und technisch bestens ausgestattet. Der Abend ist rauschend, und am übernächsten Tag fliegen wir randvoll mit Eindrücken zurück nach Deutschland. What a blast! Doch davon mehr auf den folgenden Seiten