DIE MUSIK

ICH WOLLTE NIE ETWAS ANDERES

 

Ich kann mich an keine Zeit ohne Musik erinnern. Vermutlich hat das schon im Mutterbauch begonnen. Die gesamte Familie, und das ist eine große Familie, singt. Die Erwachsenen sind fast alle in Kirchenchören. Alle Stimmlagen sind vertreten, und es wird jeden Sonntag reichlich gefeiert und gesungen. Eines hat mich früh fasziniert: Die Melodie eines Liedes ist ja kein Problem, wenn man das Lied einmal kennt. Der Bass ganz unten erschließt sich auch schnell. Aber die Mittelstimmen, die sind nicht so einfach. Die Onkels und Tanten können das, und so bekomme ich ganz früh ein Verständnis für den drei- bis vierstimmigen Satz, und die Ohren werden trainiert. Ich habe Spaß an Musik.

 

WEIHNACHTEN 1966

 

In diesem Jahr bekommt mein älterer Bruder ein kleines Akkordeon geschenkt. Mein Geschenk ist sicher auch toll, aber ich finde das neue Spielzeug des Bruders weitaus spannender als mein eigenes, was meine Eltern natürlich gleich bemerken. Es ergeht das Verbot, das Akkordeon auch nur anzuschauen, was die Sache nur noch spannender macht. Hätte ich selbst Kinder, ich würde alle möglichen Instrumente gut sichtbar in eine Vitrine stellen und verbieten, sie anzurühren. Ich würde aber den Schlüssel zur Vitrine nicht allzu gut verstecken ...

 

Mein Bruder erhält Unterricht. Ich lungere während dieser wöchentlichen Stunden im Wohnzimmer herum, scheinbar mit anderen Dingen beschäftigt. In Wahrheit höre ich aber ganz genau hin, was Lehrer und Schüler da machen. Und an den Wochenenden habe ich freie Bahn. Die Eltern sind freitagsnachmittags verlässlich zum Einkaufen unterwegs, und ich weiß: Ich habe zwei Stunden, in denen ich unbemerkt spielen und üben kann.

 

Das geht viele Monate gut, und ich spiele für so einen Knirps wahrscheinlich nicht schlecht. Dann, eines Freitags steht mein Vater im Türrahmen. Er ist seltsamerweise nicht böse, er lächelt sogar. Und ich, der Erwischte, habe ein ganz schlechtes Gewissen und rechne mit Strafe. Aber das Gegenteil passiert. Zwei Wochen später steht ein altes Klavier im Wohnzimmer. Es ist meins! Weiser Mann. Er wollte immer selbst ein Instrument spielen, aber der Krieg und die Lebensumstände damals haben das nicht zugelassen. Ich glaube, er hat durch mich seinen Kindertraum verwirklicht gesehen. Bei mir beginnt an diesem Tag eine lange Reise  ...


ÜBEN

 

Klavier und Akkordeon sind nun also meine Instrumente, ich darf endlich ungestraft üben. Und ich übe meine Umgebung in den Wahnsinn. Während viele meiner musizierenden Freunde und Nachbarskinder von ihren Eltern die Eieruhr auf zwanzig Minuten gestellt bekommen und nicht vorher aufhören dürfen, bin ich da nicht einmal warmgelaufen. Scherzhaft sage ich immer, ich hätte im Alter von acht Jahren das erste Geld mit Musik verdient: Meine Mutter bietet mir zwei Mark an, wenn ich endlich mal etwas anderes mache ...  Ich spiele einfach gern, und das geht bis heute so.

 


 Südtirol, ca 1970                                                                                                             


GESCHÜTZTER RAUM

 

Aber es ist auch noch etwas anderes, das ich schnell verinnerliche: Das Musizieren bietet mir Schutz, es macht mich stark und unabhängig. Ich lasse zum Beispiel Lehrer auf dem Gymnasium einfach stehen, wenn sie mir auf die Nerven gehen, weil ich weiß ja: Ich bin Musiker, die können mir nichts. Was nicht ganz stimmt, denn dieses Verhalten schlägt sich dann doch recht bald in den Schulnoten nieder, und ich bleibe das eine oder andere Mal "sitzen".

 

Mit sechzehn hat das Grauen dann ein Ende. Ich verlasse die Schule und bin ab jetzt "hauptberuflich" Musiker. Weder habe ich eine Idee, wie das geht, noch was das überhaupt ist, aber ich behaupte es unverdrossen. Hätte ich ein Kind wie ich eines war, ich wäre schwer in Sorge.


WEITER ...

 

Und so folgen dann Jahre in denen ich mich ausprobieren kann. In der Band meiner Jugend "PHÖNIX" bin ich der Jüngste und habe das Glück, daß Freunde wie Franz-Josef Ritzerfeld auf mich aufpassen. Ich wäre sonst sicher auf eine noch schiefere Bahn geraten. Wir folgen unseren Idolen, kopieren sie. Aber, wie ich heute weiß, kopieren wir in der Hauptsache ihre Frisuren. Naja, wir versuchen, seriös zu sein und gewinnen 1977 tatsächlich den zweiten Platz bei einer Amateur-Vorentscheidung in Werl, die uns auf das berühmte "Jazz Bilzen"-Festival bringt. Böse Zungen behaupten zwar, die Jury sei während unserer Darbietung essen gewesen, aber das sind bloß Gerüchte ... Mit Tanzmusik auf Festzelten verdienen wir unser erstes Geld.

 

Notgedrungen lasse ich mich zu einer Ausbildung überreden: zum Bürokaufmann bei COOP. Ich lerne dort neben vielen anderen nützlichen Dingen - ohne hinzusehen - die damals noch handgeschriebenen Inventurlisten einer Supermarktfiliale mit der linken Hand in eine Rechenmaschine einzugeben. Das macht durchaus Spaß. Aber wenn man sich in einer der endlosen Listen um einen Pfennig vertan hat, muß man von vorn beginnen. Erbsenzählerei, im wahrsten Wortsinn. Ich mag keine Erbsen. Und erst recht mag ich sie nicht zählen.

 

Nach einem Jahr habe ich keine Lust mehr und wechsele in ein Musikgeschäft, in dem ich schon zuvor an den Wochenenden gearbeitet habe. Das kommt der Sache näher. Ich werde schnell der Heimorgelfachverkäufer. Diese Apparate mit Begleitautomatik sind damals sehr gefragt. Und durch meine Erfahrungen in der Tanzmusik kann ich "Besame mucho" und den "Hummelflug" so spielen, daß Mutti und Vati anschließend geneigt sind, eine solche Orgel mit nach Hause zu nehmen. Ein gutes Geschäft für den Ladenbesitzer.

Ich handele mit ihm einen Deal aus: nur noch ein Lehrjahr statt zweien und eine anständige Gage dafür, daß ich so schön Orgeln und andere Instrumente verkaufen kann. Ich kündige den Bürojob und werde stattdessen Musikalienhändler. Sicher ein Beruf mit Zukunft ...

 

Dann steige ich in eine holländische Top-40-Band ein. Damals sind die noch richtig gefragt. Wir spielen in Diskotheken und Clubs in ganz Holland, vier bis fünf Mal pro Woche. Das spült Geld in die Kasse, und so kommen zu der bescheuerten Frisur auch noch bescheuerte Autos. Und damals geht auch noch etwas anderes ganz problemlos: Ich kann um vier in der Früh vom Auftritt in Groningen nach Hause kommen und um neun im Geschäft stehen, um Orgeln zu verkaufen. Geschlafen wird am Ende des Monats! Tja, das ist heute anders.

Alles hat seine Zeit ...

 

 

TO BE CONTINUED, SCHREIBPAUSE

 


Aber hier kommen noch einige Bilder: